Niklaus Schmid


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Band 5, Story 1
Einer fehlt für immer


Unruhe, die beiden würden Unruhe in mein Leben bringen. Das war mir von Anfang an klar.
Ich glaube, die beiden ahnten selber, dass sie störten. Wie sie da in der Tür standen und verlegen lächelnd ihre Blicke über die Gesichter der Anwesenden gleiten ließen! Man konnte ihnen die Gedanken regelrecht von der Stirn ablesen. Der mit der Glatze ist zu alt, und der in der Kordhose zu klein. Da blieb von uns drei Männern ja nur noch ich übrig. Und prompt kamen sie auf mich zu, taten so, als hätten sie nie den leisesten Zweifel gehabt.
"Hallo, Engelbert", sagten die beiden fast gleichzeitig und mit ausgestreckten Händen. Sie lächelten ziemlich verkrampft und nannten ihre Namen: Bernd Lohsen und Lena Tackenberg. Dreißig Jahre hätten wir uns nicht gesehen, sagten sie.



"In der Schule hieß ich noch Lena Wagner." Sie stellte eine Tüte vom Drogeriemarkt auf den Tisch. "Seife, ein Deo, Papiertaschen-
tücher", sie räusperte sich, "Ich hatte vorher die Schwester gefragt, und sie meinte … "
Ich bedankte mich. Solche Sachen könne man ja immer gebrauchen, sagte ich, als sie die Tüte wie etwas Peinliches vom Tisch nahm und neben meinen Stuhl stellte. Wenn sie das mit Rücksicht auf die beiden Mitbewohner unseres schönen Heims tat, dann war das wirklich unnötig. Opa Römer spielte mal wieder mit sich selbst Schach und stierte auf den gekachelten Boden, wo er in Gedanken seine Figuren aufstellte, und Egon hatte seit dem Eintreffen der beiden noch nicht ein einziges Mal seinen Blick von der Mattscheibe genommen. Ab und zu drückte er die Tasten der Fernbedienung und stach mit ihr, als wäre sie ein Dolch, in Richtung des Fernsehapparats.
"Morgen Abend kommt ein Fußballspiel", sagte Bernd
...


Band 5, Story 2
Aufstand der Alten


Das Bettzeug war blütenweiß und glatt und duftete gut. Kranken-
pfleger Gerd Rosemeyer sog die Luft ein.
Nicht ganz so frisch roch es aus dem anderen Bett, in dem der
alte Müsel lag; ein besonders schwieriger Patient, der rauchte, obwohl ihm der Arzt das untersagt hatte, und der im Garten des Altenheims Wiesengrund eine Schnapsflasche bunkerte.
Wenn der Alte nicht an seinen billigen Stumpen paffte oder heimlich trank, dann beschäftigte er sich mit Schachproblemen und stierte, wie jetzt gerade, missmutig in die Wolken.
"Na, wann kommt der Neue?", wollte er von Rosemeyer wissen, der zwei makellose Handtücher und ein großes Stück Kernseife neben das Kopfkissen schichtete. Man konnte die Alten nicht deutlich genug zur Sauberkeit aufordern.


"Hoffentlich spielt er nicht so lausig Schach, wie es Opa Zobel tat." Müsel nickte zu dem leeren Bett. "Woran ist er denn nun gestorben?"
"Embolie in der rechten Herzkammer."
Rosemeyers Blick drückte sowohl Herzenswärme wie auch das Wissen aus, dass die Welt schlecht, das Schicksal grausam und der Dienst eines Pflegers äußerst hart sei. Opa Zobel hatte er füttern und waschen und zum Spaziergang anziehen müssen. Aber hatte der es ihm gelohnt? Mit keinem Wort! Wenn nicht alles nach dem Willen des Alten gegangen war, hatte er gejammert, der Herr im Himmel möge ihn erlösen.
Als der angerufene Herr immer wieder auf sich warten ließ, die Bitte zu erfüllen, hatte der Pfleger Gerd Rosemeyer eben ein wenig nachgeholfen, mit einer Spritze. Kein Mensch im Altenheim hatte dem störrigen Greis eine Träne nachgeweint. Verwandte hatten sich nicht blicken lassen
...


Band 5, Story 3
Das Manuskript


Das Wichtigste beim Schreiben, sagt mein Kollege Fred Neuendorf, sei die ausgiebige Recherche, das umfangreiche Darstellen auch kleinster Details. Da bin ich anderer Meinung: Wichtig ist das Weglassen. Nun, Neuendorf schreibt dicke Kriminalromane, ich bin Dichter.
Erst neulich haben wir darüber gesprochen. Es war schon spät am Abend, und die einzige Ausbeute des Tages waren ganze vier Zeilen - vier Zeilen, von denen ich nicht einmal überzeugt war. Neuendorf lachte darüber, er habe gerade noch mal zehn Seiten zu den übrigen 500 in den PC gehämmert und sei mit seinem neuen Roman jetzt nahezu fertig.
"Warum geht es denn darin?"
"Das werde ich Ihnen doch nicht sagen, Herr Kuhn. Das weiß keiner, nicht einmal mein Verleger."
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Später verriet er mir dann doch, warum es ging, allerdings nur in Stichworten: "Eine Mafia-Story: Pizza, Pasta und Pistolen; also, wie mit den ersten Gastarbeitern in den Sechzigerjahren auch die organisierte Kriminalität südländischer Prägung in Deutschland ihren Einzug hielt."
Das Thema habe er mir auch nur deshalb verraten, so ließ er durchblicken, weil ich ja kein richtiger Kollege sei. Stimmt, mein Geld verdiene ich als Taxifahrer. Sollte ich ihm sagen, dass ich drei Jahre Germanistik studiert habe? Geschenkt! Neuendorf würde nur geringschätzig schnauben. Er gehört zu den Menschen, die glauben, wahre Literaten seien harte Männer, die wie Dashiell Hammett neben der Schreibmaschine griffbereit eine Flasche Hochprozentigen haben. Oder eine Jagdflinte wie Ernest Hemingway. Oder die sich durchs Leben huren und saufen wie Charles Bukowski.
Mich hält Neuendorf für einen elenden Spießer, wenn er sich überhaupt die Mühe macht, über mich nachzudenken
...
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Aktualisiert am 15. April 2024 | kontakt@niklaus-schmid.de

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